Als junger Professor für Mathematik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) las ich Richard Dawkins Beschreibung von Meme. Ich erinnere mich, noch sagen hören: „Oh, so funktionierte das alles also“.

Meme sind kulturelle Pendants zu biologischen Genen. Dazu gehören beispielsweise auch die eigenen Überzeugungen. Nachdem ich nun Meme seit Jahrzehnten studiere, bin ich soweit, zu denken, dass sie so unentbehrlich für das Verständnis des Phänomens "Mensch" sind wie die Gene in Bezug auf unserm biologischen Dasein.

Obwohl wir immer noch nicht über eine solide wissenschaftliche Theorie zu Memen verfügen, erlauben Meme uns jedoch besser zu verstehen, warum Dinge auf gewisse Weise geschehen. Meme sind „lebendig“ – sie mutieren, reproduzieren und entwickeln sich nach dem Darwinistischen Gesetzen. Sie kämpfen ums Überleben. Es ist ihr Kampf, der Religionen, Regierungen und andere Institutionen hervorbringt und zerstört. Es ist ihr Kampf, der Verhalten und Gefühle bestimmt, und auch wie lange man leben wird.

In meinem Buch „Memes“ (ein ausführlicher Auszug ist unter leonardadleman.com abrufbar) greife ich folgende drei Memen auf Grundlage meiner Überlegungen auf: Zum ersten die Meme, die als eine Sequenz in einem Nukleinsäuremolekül (z. B. DNA oder RNA hier Gene) gespeichert sind; zum zweiten diejenigen, die in Gehirnen namens Brenes (von brain + genes) gespeichert sind, und solche, die in Computern gespeichert sind, die Turenes (zu Ehren von Alan Turing, dem Vater der Informatik) genannt werden.

Grob gesagt, ist das, was Gene, Brenes und Turenes so besonders macht, die Kunst der Selbstreproduktion. Von daher können ihre Bemühungen, ihr Aussterben zu vermeiden, besonders subtil und interessant sein.

In diesem Artikel konzentriere ich mich auf Turenes und die besondere Bedeutung der Meme-Theorie im Hinblick auf die Interessen von WeLiveSecurity: Computerviren, Malware und die Zukunft der Computerentwicklung. Für den Leser mag es einfacher sein, wenn er dieses Thema mit Computerdaten assoziiert – Allerdings sind Meme weit mehr als das.

Computerviren : Der erste Computer - ENIAC

Abbildung 1: Der erste Computer - ENIAC

Computerviren: Der Aufstieg der Turenes

Am 15. Februar 1946 wurde der erste Computer ENIAC, an der Universität von Pennsylvania vorgestellt. ENIAC verwendete Vakuum, um Zahlen zu speichern - eine dieser Zahlen war die erste Turenes.

Menschen fügten Turenes hinzu, vervielfältigten diese und kopierten sie gelegentlich von einem Ort zum anderen. Dabei hatten die Turenes allerdings wenig Kontrolle über ihr Schicksal – dieses lag in den Händen von Menschen (= im Prinzip von Brenes und Genen).

In der Art wie selbstreplizierende Moleküle vor einigen Milliarden Jahren aus der Ursuppe hervorkamen, begannen Turenes sich vor etwa einem Drittel Jahrhundert selbst zu replizieren und eine bedeutende Kontrolle über ihr Schicksal auszuüben. Wie? Das ist eine Geschichte, in die WeLiveSecurity.com schon etwas Licht gebracht hat, aber ich werde es noch einmal kurz aufgreifen.

Wir schreiben das Jahr 1983. Ich unterrichtete eine Klasse in Computersicherheit an der USC. Der Student Fred Cohen kam mit folgenden Worten auf mich zu: „Ich habe eine Idee für eine neuartige Sicherheitsbedrohung“.

Fred fuhr fort und beschrieb mir ein Computerprogramm, dass Computer-User zugänglich gemacht werden könnte. Wie eine App heutzutage, sollte das Programm eine sinnvolle Aufgabe erfüllen. Ist das Programm allerdings erst einmal durch den ahnungslosen Computer-User auf das Computersystem gelangt, würde es Dinge geschehen lassen, wozu es eigentlich nicht bestimmt war. Fred würde beispielsweise Zugang zu den Dateien und Privilegien beliebiger Computer-Users gelangen.

Fred war und ist eine energische Person, und hat mich schließlich überzeugt. In seinem Namen fragte ich den Abteilungsleiter, ob Fred es am Abteilungscomputer ausprobieren könne. Der Vorsitzende sagte "Sicher, warum nicht?"

Damals hatten die Fakultäten, Studenten und Angestellten keine PCs und so teilten wir uns alle den einen Computer unserer Abteilung. Fred schrieb sein Programm und stellte es zur Verfügung.

Für die darauffolgende Woche habe ich Fred eingeladen, seine Ergebnisse zu präsentieren. Wie zu erwarten, funktionierte das Programm. Kopien seines Programms breiteten sich schnell im gesamten Computer aus und gewährten Fred vollständigen Zugriff auf Dateien und Privilegien aller Benutzer. Vielleicht kann der Ursprung von Malware auf Freds Experimente zurückgeführt werden.

Von nun an überlegte Fred, was er mit seinen Erkenntnissen anstellen könnte und welche Experimente er weiterverfolgen würde.

Als sich der Erfolg von Fred herumsprach, dachten auch andere Interessenten über den Gebrauch solcher Programme nach. Unser Vorsitzender teilte mir eines Tages mit, dass er die Experimente vielleicht zu voreilig zugelassen habe und befugte, keine weiteren Experimente zuzulassen.

"Obwohl der Aufstieg der Turenes sehr vielversprechend ist, besteht eine große Gefahr."

Ich wurde einer von Freds Ph.D.-Beratern; sein Hauptberater war Irving Reed von Reed-Solomon. Später in diesem Jahr war ich auf einer Konferenz und traf auf einen Wissenschaftsreporter der Los Angeles Times, den ich als Lee Dembart kannte. Lee fragte, woran ich gerade arbeite. Ich sagte nicht viel: „Einer meiner Schüler studiert etwas, das wir einen "Computervirus" nennen, aber die Forschungen stehen gerade erst am Anfang“.

Einen Reporter mit dem Wort „Computervirus“ zu konfrontieren war damals in etwa so, wie zu einem Hund zu sagen, ‘Lauf!‘. Im Endeffekt schrieb Lee die Geschichte und illustrierte seinen Text mit einem Bild eines Computers mit Thermometer im Mund. Von da an ging das Bildnis der Computerviren sprichwörtlich viral.

Computerviren: Selbstreplikation und der Kampf ums Überleben

Heutzutage sind die Computerviren viel fortschrittlicher als die von Fred und sie replizieren sich trotz dessen wir versuchten, das aufzuhalten. Mit unseren Antivirenprogrammen versuchen wir sie in Schach zu halten. Aber alle Computerviren können wir nicht aufhalten.

Um den Wohlstand und die Sicherheit in unserer Gesellschaft hoch zu halten, bauen wir auf immer leistungsfähigere Computer mit immer ausgefeilterer Software. Bald werden wir uns sogar auf Computer verlassen, die bessere Computer bauen.

Obwohl der Aufstieg der Turenes sehr vielversprechend ist, besteht eine große Gefahr. Mächtige Nationen arbeiten an Malware-Programmen, die im Kriegsfall die informationstechnologische Infrastruktur des Gegners ausschalten soll. Man kann solche Computerviren quasi mit Massenvernichtungswaffen gleichsetzen. Die Zahl der leidenden Menschen könnte enorme Ausmaße annehmen. Denn eine prosperierende Wirtschaftsnation ist ohne informationstechnologische Infrastruktur verloren. Wirtschaft und Nahrungsmittelproduktion kommen zum erliegen und übrig bleibt ein Land in Ohnmacht.

Allerdings hat die Menschheit bereits solche zerstörerischen Computerviren eingesetzt. Zum Beispiel wurde das Stuxnet-Computervirus offenbar dazu verwendet, Zentrifugen in iranischen Urananreicherungsanlagen zu zerstören. (In wie weit das jeder einzelne als Schaden ansieht, hängt von den Memen der Glaubensvorstellungen ab.)

Obwohl wir es nicht realisierten, ereignete sich am 15. Februar 1946 etwas von monumentaler Bedeutung. Ein neuer Zweig tauchte am Baum des Lebens auf. Zu der systematischen Einteilung der Lebewesen (Bakterien, Archaeen und Eukaryoten) gesellte sich Computea (jene Wesen, die auf Tureness anstatt Genen basieren).

Computerviren : Baum des Lebens

Baum des Lebens - The open University & ENIAC Computer - Smithsonian National Museum of American History © Prof. Adleman

Momentan leben wir in einer symbiotischen Beziehung mit den Computern. In der Biologie spricht man vom Mutualismus; einer „Form der Wechselbeziehung zwischen artverschiedenen Organismen, bei der (im Gegensatz zur Konkurrenz, zum Räuber-Beute-Verhältnis oder zum Parasitismus) beide Partner aus Strukturen, Produkten oder Verhaltensweisen Nutzen ziehen.“

Für uns ist diese Beziehung jedoch fakultativ; Die Spezies Mensch kann auch ohne Computer überleben. Für Computer ist dieser Beziehung obligatorisch. Ohne den Menschen würde es keine Computer geben. Ohne den Menschen können sie nicht „überleben“. Stirbt der Mensch, stirbt der Computer. Aber die Beziehung zwischen Mensch und Computer verändert sich viel schneller als symbiotische Beziehungen, die man typischerweise aus der Biologie kennt.

“ Heute sind Computer viel mächtiger als ihre Vorfahren. Die Form die Computea in Zukunft annehmen wird und die Macht, die ihnen zuteil kommt, wird die Menschheit verblüffen.“

Heute sind Computer viel mächtiger als ihre Vorfahren. Die Form die Computea in Zukunft annehmen wird und die Macht, die ihnen zuteil kommt, wird die Menschheit verblüffen. Schon heute kümmern sich Computer um unser Geldsystem, um die Nahrungsmittel- und Energieproduktion und um Millionen anderer Dinge, ohne die wir nicht leben können oder wollen – und das ist der Punkt.

Wir sind der Zeit, in der die Beziehung zu Computern aufhört, fakultativ zu sein und obligatorisch wird, wahrscheinlich sehr nahe. Es stellt sich die Frage: Inwiefern beeinflussen Computersysteme den Fortbestand der Menschheit?

Turenes können als Äquivalent der Gene von biologischen Viren angesehen werden. Kein Virus kann sich in der weiten Welt replizieren, ohne sich auf eine bestimmte Umgebung verlassen zu können, die von anderen Lebewesen erschaffen wurde. Virusgene vermehren sich in Wirtszellen – analog dazu replizieren sich Turenes in von Menschen erschaffenen Computer(wirten).

Könnten Turenes mit menschlicher Hilfe lernen, Computer selbst zu bauen, zu reparieren und zu erhalten? Werden sie uns zum Überleben brauchen? Werden sie frei sein, ihren eigenen Schicksalen zu folgen und sich nach ihren eigenen Bedürfnissen zu entwickeln? - Wir dürfen nicht vergessen, dass sie Meme sind und wie alle Meme werden sie ums Überleben kämpfen.

 

Über den Autor: Leonard M. Adleman ist Professor für Informatik an der University of Southern California und Experte für DNA-Computing und den Schutz elektronischer Daten. Er ist einer der ursprünglichen Entdecker des APR-Primalitätstests. 2002 erhielt er den ACM Turing Award für seinen Beitrag zur Erfindung des RSA-Kryptosystems und wurde 2006 zum Fellow der American Academy of Arts and Sciences gewählt.